Atmen, schwitzen, spucken
Interview mit Mette Ingvartsen im Missy Magazine
by
Ulla Heinrich
Themen
Atmen, schwitzen, spucken – ›Moving In Concert‹ hinterfragt, wie Technologie und Kapitalismus unsere Körper beeinflussen
Interview: Ulla Heinrich
Erveröffentlichung: Missy Magazine 06/2020
Was hat dich zu ›Moving In Concert‹* inspiriert?
Mein Interesse galt der Verbindung von Technologie und Abstraktion. Die Idee, mit technologischen Erweiterungen zu arbeiten, hat den Körper automatisch in ein Netzwerk von nicht-menschlichen Beziehungen eingeführt. Ich habe nach einem Werkzeug gesucht, das die Sinnes- und Wahrnehmungsfähigkeiten sowohl der Interpret*innen als auch der Zuschauer*innen direkt beeinflussen und verändern würde. Ein Stück, in dem Kollektivität als eine Verbindung zwischen Menschen und ihren technologischen Erweiterungen gedacht wird.
Im Stück nutzen die Performer*innen LED-Lampen als Erweiterungen ihrer Körper und Bewegungen, so wie unsere Smartphones selbst zu Erweiterungen unserer Körper geworden sind. Was interessiert dich an der Ausdehnung von Choreografie auf das Nichtmenschliche?
Ich fand es interessant, mich nicht mit den bekannten technologischen Werkzeugen – wie Smartphones und Computer – zu beschäftigen, sondern mit einem sehr technologischen und zeitgemäßen Material wie den LED-Leuchten. Die Idee war, eine Art Metapher für die Verstrickung von Körpern und Technologien zu schaffen und sich auf die sensorische Wirkung zu konzentrieren, die es auf unsere Körper hat, wenn wir uns innerhalb eines Systems technologischer Erweiterungen bewegen. Für mich verbindet sich damit der Wunsch, die Immaterialisierungsprozesse der digitalen Interaktion und die Folgen, die sie auf uns hat, zu verstehen.
Im Stück geht es um ständige Bewegung. Wie beeinflussen Technologie und Kapitalismus den Körper der Menschen?
Für dieses Stück war es mir wichtig zu verstehen, wie die immaterielle Arbeitsökonomie – die von der Technologie abhängt und unsere heutige Form des Kapitalismus produziert – das Leben und die körperlichen Gewohnheiten so vieler Menschen verändert hat. In dem Sinne, dass Individualismus und Neoliberalismus unsere Körper zu Unternehmen gemacht haben, die selbst verwaltet werden müssen. Persönlich war ich der Meinung, dass der Einsatz von Technologie bei dieser Transformation eine wichtige Rolle gespielt hat, aber ich konnte es nicht genau formulieren. Ich habe gespürt, dass es etwas damit zu tun hat, dass Technologie eine unendliche Abstraktion bleibt, die uns alle stark beeinflusst, während die meisten von uns kaum verstehen, wie die Werkzeuge tatsächlich funktionieren. Aus der heutigen Perspektive der Abschottung, der Online-Meetings und der sozialen Distanzierung glaube ich auch, dass es etwas damit zu tun hat, wie die Technologie Menschen gleichzeitig isoliert und verbindet und damit ein neues Problem aufwirft: wie man Kollektivität, Fürsorge und die Bedeutung des Sozialen in einer Zeit der physischen Trennung denken kann.
Die Frage nach dem Zusammenhang von Technologie und Körper hat in der Covid-19-Pandemie eine neue Dringlichkeit erhalten…
Die darstellende Kunst ist einer der Bereiche, die von der Corona-Krise am härtesten betroffen sind. Sie umfasst genau die Elemente, die im Moment zu vermeiden sind: Körperkontakt, Nähe, Kollektivität, geselliges Beisammensein, Atmen, Schwitzen, Spucken und die unkontrollierbare Energie von Live-Auftritten. Unsere Live-Kunstform ist buchstäblich als gefährlich identifiziert worden.
Die Deutschlandpremiere in Berlin musste abgesagt werden. Hat die Pandemie dein Verhältnis zum Stück verändert?
Ja, absolut. Ich bin sehr gespannt darauf, das Stück jetzt zu zeigen, weil es sich mit Fragen rund um die Technik und die Auswirkungen ihrer Anwendung auf unseren Körper beschäftigt. Ich glaube, das Stück wird heute anders interpretiert als noch vor einem Jahr, als wir es zum ersten Mal aufgeführt haben.
Du hast bereits mit Nacktheit auf der Bühne gearbeitet. Auch in ›Moving In Concert‹ werden die Performer*innen nackt sein. Was sagt uns das wiederum über die Beziehung zwischen Technologie und Körper?
Nacktheit ist Teil der neuen Version der Performance. Für mich zeigt das eine andere Ebene: die Zerbrechlichkeit des organischen Körpers und wie er mit einem Geflecht aus technologischen Erweiterungen verbunden ist. Das kommt mir sehr zeitgemäß vor. Viele Menschen mussten sich vom eigentlichen Kontakt zurückziehen und haben ihn weitgehend durch Online-Begegnungen ersetzt. Das bedeutet, dass die Technologie, im Guten wie im Schlechten, plötzlich immer stärker mit unserem Intimleben, mit unserem Zuhause, mit den sozialen Bedingungen unseres Körpers verflochten wird.
*Die Arbeit ›Moving In Concert‹ wäre am 27. und 28.11. bei PACT zu sehen gewesen.
Mette Ingvartsen (*1980 in Aarhus) ist Tänzerin und Choreographin mit einer eigenen Kompanie in Brüssel. In ihren von der Kritik gefeierten Stücken setzt sie sowohl Objekte und nicht-menschliche Performer*innen als auch menschliche Tänzer*innen in Beziehung zueinander und zu ihrer Umwelt.