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Im Rahmen der PACT Residency schließen wir an unsere Recherche über kommerzielle Leihmutterschaft in Indien an, die wir 2019 als Gäste des Goethe Instituts Bangalore Max Mueller Bhavan durchführen konnten. Die Lektüre von Sophie Lewis ›Full Surrogacy Now‹ führt uns - abgesehen von den Ungleichheiten des globalen Marktes - zur Leihmutter als einer potentiell utopischen Figur: Hier wird das Muttern ("Mothering") als soziale Praxis erdacht, die unabhängig von Blutsverwandtschaft, der Ausstattung durch einen Uterus oder Gender stattfinden kann.
Diese Recherchen stehen im Zusammenhang mit unserer kommenden Produktion ›Where Life Begins‹, in der wir uns mit den Mythen rund um Mutterschaft und Familie beschäftigen und die Leihmutter als Gegenfigur ins Zentrum stellen. Leihmutterschaft (surrogacy, von lateinisch surrogare: ersetzen) interessiert uns als höchst ambivalentes Phänomen: Zum einen ermöglicht sie, in homosexuellen und queeren Lebensentwürfen Kinder zu bekommen und das Modell “Familie”, unabhängig von der Ideologie der Blutsverwandtschaft, neu zu denken. Zum anderen ist Leihmutterschaft™ ein globaler Markt, in dem zahlungskräftige “auftraggebende Eltern” (commissioning parents) über internationale Agenturen mit Sperma- und Eizellenspender*innen, Leihmüttern und Kliniken - oftmals in sogenannten Entwicklungsländern - gematcht werden, um sich ihren Traum vom genetisch verwandten Kind zu erfüllen. Gleichzeitig erscheint die Figur der Leihmutter prädestiniert, um Schwangerschaft, dieses sonst vermeintlich so private Glück, als (bezahlte) Reproduktionsarbeit zu markieren.
Während der PACT Residency beschäftigen wir uns nicht nur mit Leihmutterschaft sondern mit Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt: Mit Empfängnisverhütung und Abtreibung, sowie dem Recht Mutter zu sein - und dem Recht nicht Mutter zu sein, wie es im Reproductive Justice Aktivismus thematisiert wird. Ob Geburt mit Gewalt durch Mediziner*innen und die Abläufe des Krankenhauses verbunden wird oder mit gar orgiastischer Energie wie etwa durch das Natural and Orgasmic Birth Movement propagiert und auf der “Farm” um die Hebamme Ina May Gaskin gelebt, spannt sich in gegensätzlichen Beschreibungen dieser Erfahrung auf.
Die Figur der Hebamme steht hier auch exemplarisch für die Wiederaneignung des Wissens um Reproduktionskontrolle, welches wie Federici beschreibt, Frauen* im Zuge der Durchsetzung des Kapitalismus enteignet worden ist um den Aufstieg der modernen Medizin zu bereiten - ein Prozess, der als Verfolgung von “Hexen” sichtbar wurde.
Diese Recherchen ermöglichen es uns, die Welt von ›Where Life Begins‹ zu entwickeln, die unsere zukünftigen Zuschauenden erleben sollen: Wir erarbeiten die Hintergrundgeschichte eines queer-feministischen Untergrund-Gesundheitszentrums, welches sich aus einer “Töchterschule” heraus entwickelt hat und entwerfen die Charaktere, die dieses Zentrum bewohnen. Wir sammeln Ideen für Rituale und Szenen und probieren performative Vorgänge aus.
›Where Life Begins‹ soll im März 2021 in Zürich am Theater Neumarkt Premiere feiern und wird koproduziert von Zurich Moves, Donaufestival und dem FFT Düsseldorf.
Literaturliste:
Octavia Butler - Bloodchild
Rachel Cusk - A life’s work
Silvia Federici - Caliban und die Hexe
Silvia Federici - Jenseits unserer Haut
Alexis Pauline Gumbs, China Martens, Mai’a Williams (Hg.) - Revolutionary Mothering
Sheila Heti - Motherhood
Sophie Lewis - Full Surrogacy Now
Maggie Nelson - The Argonauts
Amrita Pande - Wombs in Labor
Sylvia Plath - Three Women
Paul B. Preciado - An Apartment on Uranus
Antonia Rohwetter - Birth and Shit
Jacqueline Rose - Mothers, Essays on Love and Cruelty
Starhawk - Dreaming the Dark
Alisa Tretau (Hg.) - Nicht nur Mütter waren schwanger
Inga Zimprich, Julia Bonn - Practices of Radical Health Care: Materialien zur Gesundheitsbewegung der 70er und 80er Jahre / Feministische Gesundheitsgruppe
Filmliste:
Birth Story: Ina May Gaskin and The Farm Midwives (2012)
Crip Camp (2020)'
17 Filles (2011)
Hereditary (2018)
Mädchen in Uniform (1958)
Midsommar (2019)
Unter Schmerzen gebierst du Kinder (Arte, 2019)
THE AGENCY, 2015 gegründet, ist eine Performance Gruppe, die auf immersive Weise mit den Erscheinungsformen und Formaten des Neoliberalismus experimentiert. Diese Formate überdrehen wir affirmativ. Zuschauer*innen werden als Kund*innen, zukünftige Member oder Klienten sanft eingebunden. Ästhetisch greift THE AGENCY die Strategien des Branding, der Atmosphäre und der Corporate Identity auf. Die verhandelten Inhalte drehen sich um Technologien des Selbst, sowie die Möglichkeiten von politischen Bewegungen und Emotionen im post-digitalen Zeitalter. THE AGENCY sind Magdalena Emmerig, Belle Santos, Rahel Spöhrer und Yana Thönnes.