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Kötter/Israel/Limberg
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Die Reihe ›landscapes and bodies‹ des Künstler:innenkollektivs Kötter/Israel/Limberg ist ein fünfteiliger, immersiver Parcours durch eine Abfolge von Räumen, der sich den politischen, sozialen und ökologischen Folgen des Berg- und Tagebaus widmet. Vom 5. – 8. Mai 2022 ist das Projekt bei PACT zu sehen. Während ihrer Residenz im Oktober 2020 trafen wir Daniel Kötter zum Gespräch.
PACT: Das Gesamtprojekt, für das ihr unter dem Namen Kötter/Israel/Limberg arbeitet, heißt ›landscapes and bodies‹ und beschäftigt sich mit den Folgen von Ressourcenabbau an verschiedenen Orten auf der Welt. Wie ist die Idee zu der Reihe entstanden?
Daniel Kötter: Kötter/Israel/Limberg ist ein neues Arbeitskollektiv bestehend aus der Dramaturgin Sarah Israel, der Bühnenbildnerin Elisa Limberg und mir. Ich selber arbeite im Feld zwischen Dokumentarfilm und Theater. Dazu kommen einige andere Leute, mit denen wir in dieser Reihe zusammenarbeiten, wie Melanie Albrecht und die Dramaturgin Anna Ptak. Ich habe mich in meiner Arbeit sowohl in Dokumentarfilmen als auch in meinen Musiktheaterarbeiten immer stark für Raumpolitiken interessiert. Einmal geht es mir immer um den Theaterraum selber und die Frage nach dem Erlebnis des Publikums. Zum anderen interessiert mich Landschaft im politischen Sinne, verbunden mit den Fragen „Wie wollen wir eigentlich zusammenleben und an welchen Orten?“. Mit diesen Fragen im Hintergrund sind wir auf das Thema Bergbau gekommen. Wir wollten die enormen Raum- und Zeitverhältnisse untersuchen, die damit verbunden stehen: Von der Entstehung der Rohstoffe, die Millionen Jahre zurückliegt, über die Gegenwart bis hin zu unserer planetarischen Zukunft, die wir gerade zerstören. Auch die Raumverhältnisse des Bergbaus haben so große Dimension wie kaum ein anderes Phänomen auf unserem Planeten.
Außerdem möchten wir anhand dieses Projekts zeigen, wie die Realität hier in Deutschland mit anderen Realitäten wie zum Beispiel im globalen Süden zusammenhängt: Die Dinge, die hier passieren – das Ende des Bergbaus, der Strukturwandel – sind nur die eine Seite der Medaille: Das Verschwinden des Bergbaus hier ist eine notwendige Bedingung für den Bergbau im globalen Süden, wie er heute betrieben wird.
Aus diesen Grundideen heraus haben wir dann die Reihe ›landscapes and bodies‹ konzipiert: Es gibt insgesamt fünf Fallstudien, die zu drei Projekten zusammengefasst sind. Letztes Jahr haben wir in West-Papua zu der größten industriellen Gold- und Kupfermine der Welt gearbeitet und in den Bergbaunachfolgelandschaften rund um Leipzig. In diesem Jahr recherchieren wir in unserer Residenz bei PACT zum Thema des Coltanabbaus in Süd-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo und im Ruhrgebiet zur Rolle des Wassers nach dem Ende des Steinkohlebergbaus. 2021 soll es ein drittes Projekt geben, das sich nach den genannten Arbeiten, die Deutschland und Länder des globalen Südens zusammenbringen, an die äußerste Grenze der EU begibt. Wir bewegen uns in den Osten von Estland, wo die russische Bevölkerungsminderheit Ölschiefer abbaut, und beschäftigen uns mit Fragen nach den moralischen, politischen und sozialen Grenzen der EU.
Wie Du erzählt hast, arbeitet ihr hier bei PACT zum Thema Wasser im Ruhrgebiet – das ist nicht unbedingt ein Rohstoff, den man zuerst mit dem Ruhrgebiet in Verbindung bringt. Kannst du uns schon einen ersten Einblick in eure Recherchen geben?
Das Wasser ist der Rohstoff, der im Nachklang des Steinkohlebergbaus die größte Rolle spielt. Das erklärt sich aus zwei Phänomenen: so gibt es das sogenannte Grubenwasser, das daran gehindert werden muss, soweit anzusteigen, dass es das Grundwasser verseucht. Auf alle Ewigkeit muss das Grubenwasser abgepumpt werden. Als zweites betrachten wir die sogenannten Bergsenkungen: das Ruhrgebiet ist an vielen Stellen bis zu 25 Meter tiefer als noch vor etwa 150 Jahren. Dadurch, dass im Bergbau unterirdisch Material abgetragen wurde, ist das Ruhrgebiet abgesunken. Wenn man die 600 Pumpen von jetzt auf gleich abstellen würde, wäre das Ruhrgebiet innerhalb kurzer Zeit eine Seenplatte.
Das wirft natürlich Zukunftsfragen auf: Wie kann man mit den Folgen des Bergbaus umgehen? Welche Verantwortlichkeiten entstehen in der Gesellschaft? Kann man überhaupt Zukunft/Ewigkeit denken? Wir versuchen in der Arbeit immer die Verbindung zwischen Vergangenheit und die Frage nach der Zukunft aufzuzeigen – also in diesem Fall diese jahrmillionen alte Kohle, die hier entfernt wurde, auf künstliche Berge aufgehäuft wurde und die jetzige Situation mit dem gesunkenen Land herbeigeführt hat. Wir begeben uns vor Ort ganz konkret auf die Spur des Phänomens Wasser: Wo finden wir hier Wasser? Wo fließt das hin? Wo sammelt es sich an? Wo muss es abgepumpt werden? Was macht man mit den Abwässern?
Diese Fallstudie ist dann ja Teil des Film- und Performance-Parcours ›Water & Coltan‹, der zusammen mit ›Gold & Coal‹ im Mai 2022 bei PACT gezeigt wird.
Genau, diese Fallstudie stellen wir direkt in Verbindung zu der anderen Fallstudie, weil für das Projekt immer wichtig ist, dass wir beide Teile gleichzeitig präsentieren – in diesem Fall die Recherche hier und den Coltanabbau im Kongo. In der Gegenüberstellung entstehen plötzlich auch sehr unerwartete Verbindungen, also dass es zum Beispiel sehr ähnliche Orte gibt, im Kongo und hier, und man plötzlich merkt, dass es doch gar nicht so anders ist da.
Die fünf Teile sollen auch frei kombinierbar sein, vielleicht ist es auch interessant mal die Situation in Ostdeutschland, also in diesem Fall rund um Leipzig mit der im Westen des Landes, also dem Ruhrgebiet zu vergleichen. Aber es war uns ganz wichtig erstmal aufzuzeigen, dass das Ende des Kohleabbaus in Deutschland ein Korrelat hat, dass die Leute verstehen, dass sie umgekehrt auch jeden Tag ein Stück Kongo mit sich herum tragen in ihren Smartphones, weil das Coltan darin verarbeitet ist. Es gibt eben diese ganz konkrete physische Verbindung. Dieses Phänomen ist nicht etwas, das weit weg ist. Die Bedingungen, unter denen die Menschen beispielsweise dort arbeiten, haben unmittelbar mit uns hier zu tun, mit jeder Entscheidung, die wir treffen, wenn wir etwa ein Smartphone kaufen.
Wenn ihr ein interessantes Phänomen entdeckt habt, wie geht es dann weiter bis zur fertigen Performance?
Alle Fallstudien beginnen mit einer Recherche. Wir führen Gespräche mit den Menschen vor Ort. Das heißt zum Beispiel im Falle von Papua im letzten Jahr sowohl mit Vertreter:innen der indigenen Bevölkerung als auch mit Mitarbeiter:innen von FreePort, der dortigen US-amerikanischen Bergbaugesellschaft. Wir wollen dabei immer die verschiedenen Perspektiven des Phänomens beleuchten: also vom persönlichen Körpererleben, über das soziale Erlebnis hin zu globalen Fragen von Energiegewinnung und Rohstoffabbau.
Der zweite Aspekt in unserer Recherche ist das Locationscouting für die 360 Grad-Dokumentarfilme, die wir für jede Fallstudie anfertigen und die Teil der Performance sind. Wir schauen uns die Landschaften an, fahren z.B. quer durchs Ruhrgebiet und gucken uns an, wo es Wasser gibt, schauen uns die Halden an, und so weiter. Aus dieser Kombination entstehen dann Geschichten im Kopf, Bilder, Klänge. Beim Präsentationsformat war es uns dann wichtig, dem Publikum für das untersuchte Phänomen ein sehr unmittelbar körperliches Zeit- und Raumerleben zu ermöglichen. Aus dieser Überlegung ist die Idee eines Parcours entstanden, der durch zwölf Containerräume geht, wo jeder Raum eine Zeit für sich hat, das Publikum bewegt sich also nicht frei wie in einer Ausstellung, sondern man wandelt von Raum zu Raum und hat eine bestimmte Verweildauer in jedem Raum. Wir hatten dabei die Assoziation eines Stollens, es könnten aber auch zwölf Wohnräume sein, und gleichzeitig auch eine Timeline, durch die man sich bewegt oder ein begehbarer Film. Man trifft in den Räumen einerseits auf Virtual Reality-Brillen, die man aufzieht und dann sitzt man plötzlich in verschiedenen Landschaften, in Papua oder auch an Orten im Ruhrgebiet, an denen man vielleicht, obwohl man hier lebt, noch nie war. In anderen Räumen trifft man auf Performer:innen – immer in kleinen Gruppen. Man muss sich also als Besucher:in auch immer in einem Raum positionieren. Wir wollten so die Thematiken und Fragen, mit denen wir uns in dem Projekt beschäftigen, also den Zusammenhang zwischen Landschaft und Körper auch im Theatererleben widerspiegeln – dieses Verhältnis von räumlicher Erfahrung zum eigenen Körper schaffen.