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Antonia Steffens & Bruno Listopad (Choreographische Dialoge)


by Fabio Neis

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3 Fragen // Antonia Steffens & Bruno Listopad 

1. Als Anregung für dein aktuelles Projekt setzt du dich mit alten Sagen und Konzepten der Alchemie, mystischen Erzählungen und psychoanalytischen Ansätzen auseinander. Auf welche Weise versuchst du, einzelne Gedanken und Aspekte dieser Bereiche für deine Performance aufzugreifen und wie lässt sich das anvisierte Zusammenspiel, die Projektion und Umwandlung dieser Bereiche beschreiben?

Ich bin über eine eng befreundete Kollegin, Mehraneh Atashi, an Jungs Theorie der Synchronizität geraten. Das Prinzip, grob erklärt, versucht eine andere Perspektive auf das Phänomen des Zufalls zu werfen, und das Auftreten von kausal nicht erklärbaren, aber subjektiv bedeutungsvollen Zusammenhängen als eine eventuelle, dem Auge nicht sichtbare Struktur zu deuten. Diese Struktur ist eine versteckte Architektur der Wirklichkeit, die sich im Phänomen des Zufalls unserem Auge auf der “sichtbaren Oberfläche” zeigt.

Das Thema hat mich sofort fasziniert, da mein Arbeitsprozess meistens davon getrieben ist, unterschiedliche, durch Zufall mir begegnende “Symbole” oder “Zeichen” in die Arbeit einfliessen zu lassen und ihre Zusammenhänge zu untersuchen: meine letzte Arbeit Metamotion for 270degrees, die sich mit der Figur der Salome beschäftigt, entstand auch aus einem solchen Zufall: Ich schaute mir im Rijksmuseum ein Gemälde von Salome an, lief dann auf dem Nachhauseweg an einem Plakat der Oper für Strauss’ Salome vorbei und stolperte dann am Abend nochmal über den Namen von der Tochter einer Freundin. Sowas passiert mir ständig - oder mein Gehirn ist einfach so verkabelt.

Das faszinierende an der Alchemie ist für mich, dass sie aus einer Zeit stammt, in der Wissenschaft und Spiritualität noch nicht getrennt von einander betrachtet wurden. Mystisches, Spekulatives, Imaginäres und Nachweisliches fließen ineinander über und generieren an dieser Schnittstelle eine Art "Optik des Visionären". Es dreht sich also darum, was jenseits der sichtbaren Welt liegt - ohne diese jedoch abzulehnen oder umgehen zu wollen. Der Dialog an der Schnittstelle dieser Perspektiven ist für mich ein Ort, an dem neue Räume der Möglichkeiten liegen, selbstverständlich auch für die künstlerische Arbeit. Das Prinzip der Synchronizität und die Lehre der Alchemie haben für mich dort eine Parallele, die ich mir genauer anschauen wollte.

 

2. Das Format der choreographischen Dialoge gibt Künstler*innen aus NRW die Möglichkeit, die eigene künstlerische Praxis im Austausch mit professionellen Dialogpartner*innen ihrer Wahl zu reflektieren. Aufgrund welcher künstlerischen Schnittpunkte hast du dich dafür eingesetzt, Bruno Listopad hierfür zu gewinnen?

Bruno ist ein sehr vielseitiger Künstler. Neben seinem Hintergrund in Tanz und Choreographie hat er ein großes und umfassendes Wissen zu vielen verschieden künstlerischen Sparten und philosophischen Themen. In der Residenz haben wir uns intensiv mit dem “schwarzen Quadrat” von Mahlewich beschäftigt, was zufälligerweise ein beidseitiges Interesse war. Bruno hat auch direkt zwei Bücher von Jung mitgebracht, die er bei sich zu Hause hatte und die punktgenau auf die Recherche passten. Zufall oder Synchronizität? Aus den gelegentlich gemeinsamen unternommenen Kaffee-Konversationen in Amsterdam entstand bei mir der Wunsch, den Dialog ins Studio zu bringen. Bruno ist sehr feinsinnig und offen. Er hat eine erstaunliche Kapazität, sich voll und ganz auf die Kuriosität des Gegenübers einzulassen (egal in welchem Stadium). Er vermag es, diese Person auf sehr großzügige Art und Weise zu reflektieren und ihr gewisse Schlüssel (und nicht Schlussfolgerungen) zu geben. Es ist seine Art, Gedankennetze weiterzudenken und nicht notwendigerweise zu deuten, die den Dialog mit ihm so reich und unendlich erscheinen lässt. So kann die Recherche sehr schnell wachsen und gedeihen.

How did the dialogical focus of the residency format influence you and what was at the base of your artistic discourse?

Bruno, wie hat sich die dialogische Ausrichtung des Formats bei euch entwickelt und was hat euren künstlerischen Dialog ausgemacht?

The dialogue emerged organically. From the start we shared parallel interests when it comes to sources of inspiration, but also when it comes to how we both perceive the event from the perspective of a shared encounter (between the performer, the public, the site, and the plasticity of perception). Within this context, the materials that form the event are perceived synthesizable and reconfigurable through an attuned porous performer operating embedded in a series of preliminary notions whilst adapting to emerging ones as these present themselves during the occurrence. This shared interest made it easy to quickly set the residence in motion. The eventful-encounter as it is by Antonia conceived can be better understood as sentient, self-conscious, and autopoietic, capable of both perceiving its arrival whilst transfiguring itself. Accordingly, Antonia has been devising a series of evolving exercises that are partnered by the void, the oneiric, the phantasmagoric, and the animal. Through this, we could explore notions such as the generative image and its materiality, the generative site and its architecture, the generative relationship between the performer and the spectator as choreographic malleable materials. We practice jointly and apart, yet, always relationally and co-dependently. Such practice took place both indoors and (in a monumental) outdoors and was subsequently accompanied by related readings and viewings. This residence has enabled to re-experience, revise and expand Antonia's practice hands-on and dialogically through the lenses of new conceptions and references.

 

3. Dein Ansatz dreht die klassische Rollen- und Machtverteilung des Theaters um: die Zuschauer*innen sind nicht nur passiver Betrachter; du begreifst sie – mit ihren Erwartungen, ihren Zweifeln, aber auch hinsichtlich ihrer körperlichen Präsenz – als einen Teil des Bildes, das entstehen soll. Welche Rolle übernimmst du als Choreographin in der dieser Situation und welche das Publikum?

Das Ultimatum der Praxis ist es anzunehmen, dass unsere Rollen- und Machtverhältnisse sich konstant austauschen. Als Choreographin nehme ich daher sehr oft die Rolle des Publikums an, wobei ich mich nicht unbedingt als die Person verstehe, die den Saal betritt und danach wieder verlässt, sondern eher als eine Art personalisiertes Bewusstsein, welches das Bild mitkonstruiert. Ich nehme so oder so an, dass ich als Choreographin immer auch mein eigenes Publikum bin. In der Praxis versuche ich aber noch viel mehr Augenpaare anzusprechen, und zwar nicht nur in Hinblick auf das, was das Auge “faktisch” sehen kann, sondern auch bezogen darauf, was es projizieren kann. Projektion ist für mich das Handwerk, was die Choreographie entstehen lässt. Und da Projektion immer spekulativ und imaginativ ist, muss ich mein eigenes choreographisches Subjekt in vielen Unterteilungen verstehen. Wenn am Ende das “wahr gewordene” Publikum den Raum betritt, werden all diese spekulativen Subjekte aufgefordert, einander zu begegnen. Das Bild kann dann erst das Bild sein, wenn es gesehen wird. Und ebenso ist das mit dem Publikum. In dem Sehen zwischen Publikum und Arbeit entfaltet sich dann für mich meistens diese ganze Brandbreite an energetischem, emotionalem, referenziellem und materiellem Dialog - und ich kann auch dann erst verstehen, inwieweit die Arbeit diesen Dialog zulassen kann. In der praktischen Umsetzung heißt das auch, dass ich als Choreographin letztlich nicht nur Abstand, sondern auch Rücksicht darauf nehmen muss, was das Publikum in die Arbeit projizieren möchte. Und diesen Freiraum probiere ich immer zu verhandeln.

Einblick // Choreographische Dialoge bei PACT Zollverein

Antonia Steffens künstlerische Praxis bewegt sich zwischen Tanz, Malerei und Schreiben. In ihrer choreographischen Forschung versucht sie, dem Bild als nicht-hierarchisches Element zu begegnen, wobei es ihr wichtig ist, das Bild als etwas zu denken, das nicht von ihr, die sie die Choreographin ist, bestimmt wird. Vielmehr soll das Bild sich selbst aus sich heraus erklären oder definieren. Dazu bemüht sie sich, die Wirkung des Bildes zu ergründen, in jenem Moment, in dem es vor dem Publikum performt, was zeigt, dass die Zuschauenden selbst beim Kreieren des Bildes eine äußerst wichtige Rolle spielen. Verschiedenste Aspekte treffen hier aufeinander, sie alle zusammen etablieren das Bild: Zeit, Raum, der menschliche Körper, ein Objekt, Bewegung, ein Publikum, Sound, eine Idee, Zweifel und Spekulationen. 

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