Schreibwerkstatt mit Pascal Bovée
Ein Rückblick

Themen
Stadtraum

Pascal Bovée: Mit Worten zeichnen

Ein Katernberger Konditor legt die Pistazien in Nester, gedreht aus Honigteigfäden und beleuchtet sie mit einer Lichterkette. Ein Zumba-Lehrer aus dem McFit am Freistein geht in Unterhose raus zum Shoppen. Ahmed, ein Zwölfjähriger, dem es mit seinen vier Brüdern im selben Zimmer zu eng wird, steht am Fenster und schaut, ob gegenüber in der WerkStadt schon was los ist. Heute werden wir ihn dort interviewen.

Wir werden uns auch gegenseitig interviewen. In Block drei unserer Schreibwerkstatt steht ›Über Menschen schreiben‹ auf dem Programm. Die meisten Jugendlichen aus der Schreibgruppe wohnen im Essener Norden und sind damit auch selbst diejenigen Menschen, über die wir schreiben wollen. Zuerst sind wir dazu an belebten Plätzen, um andere Menschen zu beobachten, die hier leben. Besonders immer wieder auf dem Marktplatz, wo Rentner Fisch kaufen, Kinder Rad fahren, wo Trinker trinken und Jugendliche auf den Treppenstufen Musik über Bluetooth-Boxen hören.

Aus den Ausflügen in die Umgebung der WerkStadt in der Vikoriastraße sind Anlässe zum Schreiben geworden. Wir haben dabei Material gesammelt, haben Notate gemacht, literarische Skizzen. Mit Worten zeichnen, was wir sehen, das war der Anfang. Inzwischen sind wir bei literarischen Kurzformen angelangt. Alison und Julia diskutieren ein Gedicht nach japanischer Bauart, das auf unserer Exkursion auf das Zechengelände entstanden ist. Nora und Elisabeth verfeinern noch die Miniaturen zu den persönlichen Gegenständen und Fotos, die sie mitgebracht haben, um über ihre Kindheit zu schreiben. Lily hat schon mit dem Interviewen begonnen. Sie lacht, als Ahmed ihr erzählt, wie er mit Shakira in Barcelona am Strand spazieren gehen wird, wenn er erstmal Pilot ist.

Erstaunliche Gedanken und Eindrücke von den Stadtraumerkundungen haben die Jugendlichen in Texte gegossen. Sie haben ihre Wahrnehmung des Lebens im Essener Norden zu Geschichten werden lassen und zu – alles andere als gewöhnlichen – Gedichten. Sie haben eigene Erinnerungen wie die an den Verlust wichtiger Bezugspersonen, an das Herausgerissenwerden aus der eigenen Lebensumwelt durch einen Umzug, an eine einsame Zeit, in der die Spielkonsole der beste Freund war, aufgeschrieben und literarisch bearbeitet. Sie haben das Schreiben zur Widerstandsstrategie gemacht gegen die manchmal schwierigen Umstände, die das Leben mit sich bringt, im Norden des Ruhrgebiets wie andernorts.

Einmal mit beeindruckendem Mut, ein anderes Mal sehr nachdenklich, dann wieder mit großer Selbstverständlichkeit erzählen die Jugendlichen uns ihre Geschichten. Daraus kann man auch als Erwachsener viel lernen. Danke Julia, danke Nora, Alison, Lily und Elisabeth.

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