Die Threads in ›TechnoPoesis‹
Ein Brief von Johannes Paul Raether und Nathan Fain


by Nathan Fain, Johannes Paul Raether

Themen
Fellowships

Im Prozess, eine gemeinsame Sprache zwischen unseren künstlerischen Praktiken zu finden, haben wir begonnen unsere Arbeit als eine Sammlung einzelner Fäden (Threads) zu strukturieren: diese Form könnte man als eine Methodik der Kollaboration verstehen, die einen Vektorraum öffnet – in manchen Ecken dieses sich multidimensional ausdehnenden Raumes könnten die Ergebnisse ganz konkret spürbar werden, in anderen Bereichen scheinen die Schnittmengen der Themen weit auseinander zu liegen und materielle Ergebnisse nur schwer greifbar. Mit dieser Methode möchten wir einer ‚Über-Anpassung' (over fitting) vorbeugen und ermöglichen, dass der Prozess als handlungsmächtiges Element die Gestaltung unserer Arbeit prägt.

Die Felder, Domains oder Threads an denen wir aktuell arbeiten sind: THEORIE, ARCHIVIERUNG, NEUENTWICKLUNGEN, BENCHMARKING, PUBLISHING und POLITIKALITÄT.

Im Thread THEORIE möchten wir eine Reihe von gemeinsamen Lesungen, Aufnahmen und möglichen Diskussionen miteinander und hoffentlich auch mit eingeladenen Autor*innen, Künstler*innen und Praktiker*innen teilen. Die Themen, die diesen Bereich des Vektorraums ›TechnoPoesis‹ derzeit befruchten, sind eine Mischung aus unseren künstlerischen Praktiken und unserer Forschung: Bewusstsein und Kognition in Bezug auf Technologie, Künstliche Identität(s-) (Technologien von ) Intelligenzen, Raum und Zeugnis, Intuition / Kritische Entwurfspraktiken

ARCHIVIERUNG soll die Poetik früherer Werke und ihre Neuverkörperung in digitaler oder physischer Form untersuchen. Wir haben hierfür drei Geräte (devices) identifiziert, die bisher entweder in gemeinsamen Produktionen verwendet wurden (wie der Surrogate Witch Score, Breathing Sequences, Hexensticks) sowie eines, das wir als mögliche Ergänzung sehen, aus Johannes‘ eigenen Entwicklungen (The Data Body). 
Im Rahmen von ›TechnoPoesis‹ werden wir an der Re-Konfigurierung und der Re-Konstruktion dieser Geräte arbeiten, wobei eine angemessene Dokumentation der bereits produzierten Instanzen umso wichtiger ist. Wir werden repositories für diesen code finden, ebenso wie neue skulpturale Verkörperungen, die die sich verzweigende Entwicklung solcher Geräte als künstlerisch-technologischen Prozess hervorheben.

NEUENTWICKLUNGEN beginnt mit der Erforschung eines ‚audience lens crawler‘, der die Zeitlichkeit von Archiv und Performance verwischt und die Dramaturgien zukünftiger Performance über die Bühne und den Ausstellungsraum hinaus erweitern wird. Die ersten Schritte in diesem Prozess bestehen darin, die Datenstrukturen vergangener Werke zu identifizieren, Archivrecherchen durchzuführen und Prototypen für eine mögliche Datenextraktion und -speicherung zu erstellen. In einer späteren Phase werden wir darauf hinarbeiten, diese Strukturen auf die Teilnehmer*innen von Performances auszuweiten.
Dieser Thread ist eine der zentralen Entwicklungen in unserem Fellowship, innerhalb dessen wir die technologische Potentiale von früheren Arbeiten untersuchen möchten – weil, es für diese Potentiale damals noch nicht ensprechenden Ressourcen – wie z.B. Netzwerke und autonome Geräte – gab. Als Teil dieses Prozesses möchten wir uns auf ein diskursives Element innerhalb dieses Threads konzentrieren und Kooperationen mit Unternehmen und Bildungseinrichtungen aufbauen.

Im Bereich PUBLISHING möchten wir die Ideen eines erweiterten Felds des Publizieren jenseits traditioneller ‚Kanäle' verfolgen und dabei unsere beiden wichtigsten kulturellen Plattformen, Kunst und Technologie, einbeziehen, Umwege über Online-Plattformen wie Github oder TikTok nehmen, aber auch etablierte Formen des Online-Publizierens auf unseren Websites integrieren. Publizieren ist für uns beide ein performatives Unterfangen. Wir möchten einige unserer Ergebnisse nicht nur online, sondern auch als jene performativen Präsentationen und Fiktionen zugänglich machen, die häufig in zurückgelassenen Prototypen aus techno-künstlerischen Praktiken eingeschlossen bleiben. Wir werden also gewissermaßen mit den Ruinen unseren beiden Praktiken arbeiten, diese Entitäten durch eine rekursive, performative Praxis füttern, um Ideen und Konzepte zu ernten und diese wiederum in den Thread der NEUENTWICKLUNGEN einzuspeisen. 

Und schließlich, ist es uns ein Anliegen die materielle POLITIKALITÄT unseres Vorhabens zu reflektieren, einerseits indem wir unsere Ergebnisse als Plattformen betrachten und andererseits indem wir versuchen, unsere Arbeitspraktiken nach Möglichkeit auch außerhalb des ‚globalen Nordens‘ anzusiedeln. Die Umsetzung dessen wird sich aus unserer Arbeit ergeben und die genannten Beispiele sind an dieser Stelle spekulativ. Sie gehen von unserem ausgeprägten Gefühl der Verbundenheit mit Künstler*innen und Technolog*innen aus, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen außerhalb unserer privilegierten Gemeinschaft arbeiten. Wir möchten diese Gemeinschaft in einer signifikanten Form mit diesen Entwickler*innen und Künstler*innen teilen, um die Tatsache zu betonen, dass dieser Entwicklungsprozess, von dem wir ein Teil sind, kein effizienter, pragmatischer und lösungsorientierter ist, sondern in Wirklichkeit ein techno-sozialer.

 

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