Zweiter Brief von Sophie De Somere & Barbara Raes


by Sophie De Somere & Barbara Raes

Themen
Fellowships

Der Name Herman Horyon wanderte im April diesen Jahres durch die Flämischen Medien. Ein 81-jähriger Mann aus Lummen wurde in ganz Flandern zur Berühmtheit, nachdem er in seinem Garten ein Schild aufgestellt hatte: “Kostenfreies Zusammenleben. Nur für Frauen. Ohne Kinder.” Die Worte auf dem Schild sprachen eine so laute Sprache, dass es nicht lange dauerte, bis sich die versammelte Presse an seiner Haustür wiederfand, und noch eher begannen die Menschen sich über Herman und sein Schild lustig zu machen. Sein innerster Seelenwunsch lag schmerzvoll nach außen gekehrt, für alle lesbar auf der Straße: seine unsichtbare Einsamkeit wurde mit einem Mal sehr sichtbar.

Einsamkeit ist zumeist still und auch heute noch immer mit Scham verbunden. Einsamkeit spielt sich eher im Verborgenen ab: wir sprechen nicht über sie, und wir sehen sie nicht. Die Welt unserer Zeit ist voll von erzwungener Einsamkeit. Wir stellten uns vor, wie es sei, Hermans Nachbarinnen zu sein. Und dass wir draußen ein Schild aufstellen würden, mit den Worten: „Ich höre zu“. Und wir würden Tag für Tag im Vorgarten sitzen, und zuhören, auf einem Stuhl sitzend, mit einer wärmenden Tasse. Es würde uns nicht viel Mühe abverlangen. Auch nicht viel Zeit. Nur ein wenig Zwischenzeit, in der wir uns still hinsetzen würden, um Herman zuzuhören – ihm und allen anderen Hermans dieser Welt.

Am 15. Oktober realisierten Sophie De Somere and Barbara Raes das Projekt ›I Listen‹ in Essen-Katernberg.

›I Listen‹  ist eine interaktive Performance in der Stadt über Trost und Widerstand.

Im Angesicht menschlicher Endlichkeit versucht ›I Listen‹ in ganz bescheidener Form dem universellen Bedürfnis nach etwas, das Trost spendet, nachzugehen. Der aufrichtige Akt des Zuhörens verwandelt das soziale Geflecht von Sprechen und Zuhören in eine Form des kreativen Widerstands und offenen Aktivismus.

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